Patricia Urquiola: offener Dialog
Patricia Urquiola, Sie arbeiten als Architektin und Designerin. Was bedeutet es für Sie, in beiden Bereichen tätig zu sein?
Design und Architektur sind zwei unterschiedliche Professionen. Während meines Studiums in Italien gab es damals eine Art Verschmelzung dieser Bereiche. An der Architekturfakultät lehrten Architekten auch Design; und die Haltung zu einem Projekt war für sie mehr oder weniger dieselbe. Es gibt aber einen Unterschied im Prozess. Es ist nicht einfacher im Design, aber man fokussiert sich auf eine andere Weise, muss andere Probleme lösen und andere Dialoge führen. Für mich ist beides fantastisch und es war ganz natürlich, vom einen zum anderen Bereich zu wechseln. So wie wir im Studio arbeiten, passt eine Tätigkeit zur anderen und es entwickelt sich eine Art Paranthese.
Seit einem guten Jahr sind Sie zusätzlich Art Director von Cassina – eine dritte Tätigkeit, in der auch eher unternehmerische Fragen eine Rolle spielen.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Schritt gehen sollte, und war mir zuerst ziemlich unsicher. Ich befürchtete, an Freiheit einzubüßen. Aber das, was jetzt tatsächlich passiert, macht mich sehr stolz und glücklich. Es ist eine wirklich ausgeglichene, sich wechselseitig bereichernde Beziehung, sehr großzügig und offen. Die wirtschaftlichen Aspekte stehen gar nicht so sehr im Vordergrund. Natürlich spielen sie eine wichtige Rolle, aber mehr noch geht es darum, ein kulturelles Verständnis für das Unternehmen zu entwickeln – für seine heutige Situation und dafür, wie es sich in kleinen Schritten entwickeln kann. Es ist wichtig, dass man Großes erreichen kann, indem man sich Stück für Stück bewegt. Es ist ein kontinuierlicher Prozess: Man muss hinterfragen, ob man ein Problem richtig erkennt, verstehen, wo die Hindernisse liegen und was der beste Weg ist. Mit viel Enthusiasmus, aber gleichzeitig sehr kritisch. Das führt nicht nur zu einzelnen spezifischen Entwurfsprozessen, sondern zu einer viel weiter gefassten Entwicklung, die absolut faszinierend ist.
In allen Ihren Tätigkeiten spielt auch das Objektgeschäft eine große Rolle. Was sind die wichtigsten Trends in diesem Bereich?
Ich tue mich etwas schwer mit dem Wort „Trends“. Für mich ist es ein Wort, das eher in den Bereich des Marketing oder der journalistischen Berichterstattung passt. Entscheidend in unserer Arbeit ist ein Verständnis davon, dass wir uns als Gesellschaft immer mehr in Richtung einer vernetzten Gemeinschaftlichkeit entwickeln. Und das betrifft verschiedene Ebenen der Mobilität. Damit meine ich nicht nur unsere täglichen Bewegungen in der Stadt – nach Hause, zu unserem Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum, zu einem Hotel – oder dass wir während dieser Bewegungen arbeiten. All diese physischen „Mobilitäten“ sind mit dem digitalen Netzwerk verbunden, woraus wiederum eine andere Art der Mobilität entsteht. Alle diese Aspekte sind miteinander verknüpft. Wir müssen das jeweilige Konzept von Häuslichkeit verstehen und bewerten – zu Hause, wo wir wohnen, wo wir arbeiten. Für mich existiert eine Landschaft zwischen diesen Orten. Manchmal ist man in einer eher öffentlichen, zu anderen Zeiten in einer eher privaten Umgebung. Aber das kann in einer Hotellobby der Fall sein oder im Büro, am Flughafen oder an vielen anderen Orten.
Was bedeutet das für die Aufgabe des Designs?
Viele der Räume, in denen wir leben, müssen uns mehr Antworten geben. Unterschiedliche Kulturen verschmelzen immer mehr. Jeder Raum lässt sich an einem Tag vielfältig nutzen. Es geht nicht mehr so sehr darum, einen Tisch oder Stuhl zu gestalten. Es geht mehr um räumliche Prozesse und darum, wie sich Räume zeitweise überschneiden. Der Aspekt der Zeit ist ein sehr wichtiger Faktor geworden und belebt jede Art von architektonischer Gestaltung. Ich denke, wir stehen am Beginn einer Periode, die nach komplexeren Projekten verlangt, was sehr interessant ist. Wir brauchen Objekte, die offen sind für einen Dialog mit anderen Objekten und Räume, die sich für Veränderungen öffnen.
Profil
Patricia Urquiola, geboren in Spanien, betreibt ihr Büro für Design und Architektur in Mailand. Sie hat für zahlreiche internationale Unternehmen gearbeitet und ist seit 2015 zudem Art Director des italienischen Möbelherstellers Cassina.
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